Zwischen Fließband und Küche. Fotografien von (Care-)Arbeit in DDR und BRD 1960 bis 1990

Zwischen Fließband und Küche. Fotografien von (Care-)Arbeit in DDR und BRD 1960 bis 1990

Organisatoren
Ludger Derenthal, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin; Änne Söll / Friederike Sigler / Tonia Andresen, Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Förderer
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.11.2022 - 25.11.2022
Von
Tonia Andresen, Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Mit Care-Arbeit, wie die nur selten entlohnten und meist nicht als Arbeit anerkannten Sorgetätigkeiten von Frauen seit den 1990er-Jahren gefasst werden, beschäftigen sich Künstlerinnen seit den 1960er-Jahren auf globaler Ebene. Trotz der Vielfalt und Menge an Positionen haben diese nur marginal Eingang in die Kunstgeschichtsschreibung gefunden, und darin spiegelt sich – so die These – auch die Abwertung dieser Arbeit, insbesondere innerhalb eines Diskurses, der Care als konträr zur schöpferisch-künstlerischen Tätigkeit setzt. Dass Care-Arbeit bis heute nicht gleichberechtigt verteilt und immer noch zu einem Großteil von Frauen übernommen wird, zeigte Änne Söll (Bochum) in ihrer Einleitung, eine Problematik, die durch die Coronakrise erneut virulent geworden ist.

Während die Debatten über Reproduktions- und Care-Arbeit in der BRD in den 1970er-Jahren durch die Zweite Frauenbewegung angestoßen wurden, galt in der DDR Gleichberechtigung als Staatsdoktrin. Folglich, so Friederike Sigler (Bochum) in ihrer Einführung, fragte der Workshop danach, wer in BRD und DDR zwischen 1960 und 1990 Care-Arbeit leistete, inwieweit diese Arbeit an geschlechtliche Kriterien gebunden war und als Produzentin von Geschlecht konzeptualisiert werden könne und wie dies in der Fotografie reflektiert wurde.

INKA SCHUBE (Hannover) zeigte die der Darstellung von Care-Arbeit eingeschriebenen Schwierigkeiten am Beispiel der Fotografien von Helga Paris auf. Paris, die Frauen in Betrieben der DDR fotografierte, bildete diese nicht als glückliche Heldinnen der Arbeit ab, sondern mit ernsten Gesichtern, portraithaft und nicht arbeitend. Sie fungierten damit als Gegenmodell zu den staatlich geförderten Bildern, da sie die Individualität in den Vordergrund stellten, analysierte Schube. Neben den Frauen bei der Arbeit existieren vereinzelt Fotografien, auf denen Kinder zu sehen sind, meist allein oder mit Frauen, aber nie zusammen mit Männern: Care-Arbeit zeigt sich als weibliche Tätigkeit. Dies unterstreiche auch die Tatsache, dass Paris Care-Arbeit primär über den Privatraum wie die Küche oder Aktivitäten wie Essen thematisierte – ebenfalls weiblich konnotiert – und nicht als konkrete Tätigkeit.

Dass „wenig zu sehen sei“ in Bezug auf Care-Arbeit, konstatierte auch ANGELIKA RICHTER (Berlin), die performative Fotografien von Künstlerinnen der sogenannten zweiten Öffentlichkeit verhandelte. Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime entwickelten daher Strategien, um die „Hausfrauenarbeit“, wie Stötzer eine Serie von 1980 nannte, als monotone und an den weiblichen Körper gebundene Arbeit sichtbar zu machen. In ihren Fotografien, die Wäschestücke auf einer Leine zeigen, wird nicht die Tätigkeit des Aufhängens fotografiert, sondern das Resultat der Arbeit. Schleime hingegen knotete in ihrer „Stasi“-Serie ihre überlangen Zöpfe an einen Kinderwagen, was sie zwar nicht daran hinderte, voranzuschreiten, das Gehen aber deutlich erschwerte. Richter kontextualisierte, dass die Künstlerinnen Geschlechterunterdrückung in erster Linie nicht als Folge patriarchaler Strukturen wie in der Frauenbewegung der BRD verstanden, sondern als Effekt eines repressiven Regimes, wie auch die von Schleime genannte Serie zeigte. Da in der DDR Gleichheit mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt wurde und mithin als bereits erreicht galt, war die spezifische gesellschaftliche Situation von Frauen damit unsichtbar gemacht.

In diesem Zusammenhang wies JEANNETTE STOSCHEK (Leipzig) mit Blick auf Evelyn Richter, die Frauen Ende der 1950er-Jahre u.a. in der ND-Druckerei fotografierte, darauf hin, dass stets die Frage gestellt werden müsse, in welchen Bereichen Frauen tätig waren. In der Druckerei saßen diese ohne Schutzkleidung an großen und lauten Maschinen, während die Männer – die wie bei Paris nur selten gezeigt werden – vermehrt in leitenden Funktionen tätig waren. Obwohl Care-Arbeit von Richter nicht spezifisch thematisiert wurde, zeigte Stoschek auf, dass die Doppelbelastung durch Bezüge und serielle Verweise deutlich gemacht werde.

Die geschlechtliche Festlegung auf bestimmte Tätigkeiten stellte auch STEFANIE DIETZEL (Berlin) in ihrer Beschäftigung mit Auftragsfotografien aus Betrieben der DDR fest: Frauen waren die ausführenden Organe, während Männer in ihrer Rolle als Vorgesetzte oder Vorarbeiter gezeigt wurden. Die Frage nach der Abwesenheit von migrantischen Arbeiter:innen, die bereits in der Diskussion in Bezug auf Evelyn Richter gestellt wurde, erweiterte Dietzel. Anhand eines Fotos, auf dem zwei mosambikanische Arbeiterinnen im Pausenraum mit ihren weißen Kolleginnen zu sehen sind – offensichtlich mit dem Zweck, eine gelungene Integration zu visualisieren –, zeigte sie, dass die Vertragsarbeiterinnen stumm und unbeteiligt am Gespräch wirken, wie Fremdkörper innerhalb des sozialen Gefüges des Betriebs. Diese Bilder, die als Werbung und Fortschrittsversprechen fungierten (oder fungieren sollten), reproduzierten, wie Dietzel folgerte, tradierte Frauenbilder und einen ungewollt kritischen Blick auf die Realitäten der Vertragsarbeiterinnen.

Im Unterschied dazu lieferte SABINE SCHMID (München) mit der Diplomarbeit „Mujeres“ (1974) der chilenischen Fotografin Patricia Álvarez ein Beispiel für Frauen in „untypischen“ Berufen, z.B. Kranfahrerin. Schmid schrieb dem an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig eingereichten Fotobuch eine didaktische Funktion zu, wie aus den von Álvarez selbst formulierten Texten hervorgeht. Sie verfolgte das Ziel, der chilenischen Gesellschaft das Frauenbild eines sozialistischen Landes näherzubringen, kurz nachdem die Regierung Salvador Allendes von dem Diktator Augusto Pinochet gestürzt worden war. Indem Álvarez die von ihr fotografierten Frauen sowohl im Kontext ihrer Arbeit als auch im Privatraum zu Hause zeigte und die Bilder auf gegenüberliegenden Seiten kontrastierte, wurde auch hier durch das Nebeneinanderstellen die Doppelbelastung thematisiert, ohne Care-Arbeit als konkrete Tätigkeit sichtbar zu machen.

Zur Frage des Vergleichs zwischen BRD und DDR beschäftigte sich KATHRIN ROTTMANN (Bochum) mit Fotografien der 1970er-Jahre von Arbeiterinnen aus dem Ruhrgebiet. Am Beispiel des Fotografen Theodor Oberheitmann und seinen Bildern von in der Industrie arbeitenden Frauen folgerte sie, dass in diesen die Entfremdung der Arbeit herausgestellt sei, indem die Arbeiterinnen bei der manuellen Arbeit am Fließband als „kopflos“ und den großen Maschinen untergeordnet gezeigt sind. Auf diese Weise demonstrierte Oberheitmann die geschlechtlich strukturierten Hierarchien in Arbeit und Arbeitsbedingungen entlang der Unterscheidung zwischen Kopf- und Handarbeit, so Rottmann, weil in der sogenannten Leichtlohngruppe vor allem Frauen und migrantische Arbeiter:innen tätig waren. Care-Arbeit wurde demgegenüber außerhalb der Fabrik sichtbar gemacht, so auf den Fotografien von Ruth Hallensleben, die Arbeiter:innen-Wohnsiedlungen fotografierte, in denen die Männer, wie bei Paris und Richter, nur durch ihre Abwesenheit präsent waren. Den in den 1970er-Jahren eigens für den Westen publizierten sozialistischen coffee table books, die die Heldinnen der Arbeit lachend bei der Arbeit und der geteilten Care-Arbeit präsentieren, stellte Rottmann eine Hausarbeits-Reportage aus der Zeitschrift „Arbeiterfotografie“ gegenüber, die stattdessen die Entfremdung auch in der Care-Arbeit sichtbar macht.

SANDRA STARKE (Potsdam) beschäftigte sich mit der Frage, ob und wie Care-Arbeit in privaten Familienalben aus der DDR abgebildet wird. Im Unterschied zu den künstlerischen Serien spielten Männer und Väter hier eine zentrale Rolle und wurden immer dann beim Ausüben von Care-Arbeit fotografiert, wenn es sich um etwas Außeralltägliches handelte, z.B. der Mann mit Schürze beim Kochen in der Küche. Dieses Bild gelte bei Frauen nicht als bildwürdig, beim Mann jedoch schon, da es sich um eine Abweichung von der Norm handele, konstatierte Starke. Die alltägliche Care-Arbeit der Frauen erscheint als Hintergrund und als Basis des Familienlebens und ist es daher nicht wert, als Andenken festgehalten zu werden.

Kindererziehung und damit die Aufteilung von Sorgearbeiten zwischen den Geschlechtern war ebenfalls Thema in ANNEKATHRIN MÜLLERs (Essen) Vortrag zum pädagogischen Ratgeber „Entwicklungswunder Mensch“ (1980), der von dem Psychologen Hans-Dieter Schmidt und Evelyn Richter herausgegeben wurde und für den Richter eigene Fotografien bereitstellte. Müller zeigte auf, dass der Ratgeber an einigen Stellen durchaus fortschrittliche Einstellungen in Bezug auf Gleichberechtigung vermittelte – so wurden Väter ganz direkt in die Erziehung einbezogen – und die Doppelbelastung von Frauen und die Abwertung von Care-Arbeit thematisiert. Ähnlich wie in Sandra Starkes Fazit zeigte sich in einzelnen Fotografien jedoch auch, dass die alltägliche Versorgungsarbeit neben der Kindererziehung weiblich konnotiert war, so z.B. auf einem Foto, das eine schlafende Frau neben einem Wäscheberg zeigt. Während die Kindererziehung egalitär aufgeteilt werden sollte, blieb die restliche Hausarbeit den Frauen vorbehalten. Dagegen rückte Richter das Krippensystem in der DDR in ein kritisches Licht, indem sie primär Fotografien auswählte, die Kinder in überfüllten Einrichtungen zeigen. Diese Dichotomie zwischen häuslich/privater Versorgung und staatlicher, die Müller nicht weiter thematisierte, verwunderte, blieb doch offen, wie die Problematik der ungleichen Verteilung von Care-Arbeit ohne staatliche Einrichtungen hätte gelöst werden können.

Die vielfache Repräsentation von Männern als fürsorgliche Väter fällt auch in der DDR-Zeitschrift „Für Dich“ auf, wie ANNIKA NEUBERT (Jena) sichtbar machte. Die 1962 gegründete Zeitschrift, die sich explizit an berufstätige Frauen wandte, fungierte in Teilen ebenfalls als Ratgeber, der ein Idealbild von Gleichheit konstruierte, das nicht der Realität entsprach. Ähnlich Starkes Ergebnissen wurden auch hier Männer im Haushalt hervorgehoben, während Frauen nur in Bezug auf ihr Berufsleben Anerkennung erhielten, wie Neubert aufzeigte. Sie machte deutlich, dass Frauen im Medium Zeitschrift weiterhin den Haushalt organisierten, während Männer „Hilfsaufgaben“ nach Anleitung übernahmen. Durch die Hervorhebung der männlichen Care-Arbeit wurde die der Frauen unsichtbar gemacht, etwa, wenn in beiden Fällen von „Zweiter Schicht“ gesprochen wurde. Dennoch machte Neubert auf die unterschiedlichen Konzeptionen von Care-Arbeit in BRD und DDR aufmerksam: Während in ersterer Care-Arbeit als „Liebesdienst“ konzipiert und damit ihres Arbeitsstatus beraubt wurde, galt sie in der DDR als Arbeit, die möglichst effektiv und schnell ausgeübt werden sollte, um sich den schöneren Dingen des Lebens zuwenden zu können. Der „Für Dich“ ging es dementsprechend in vielen Artikeln um eine Rationalisierung der Arbeit – was nicht ohne die Männer zu machen sei.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Care-Arbeit in DDR und BRD laut der fotografischen Praxis weiblich konnotiert war, die Geschlechterverhältnisse in diesem Punkt also keine Systemspezifik aufweisen. Die Vorträge machten deutlich, dass Care-Arbeit in keiner Weise mit dem Stellenwert männlicher (Industrie-)Arbeit innerhalb der Kunst gleichgesetzt werden kann, was sich daran zeigt, dass die thematisierten Künstlerinnen auf keine tradierten Darstellungsformen zurückgreifen konnten, sondern eigene Praxen und Techniken entwickeln mussten, die Care-Arbeit als Doppelbelastung und monotone Tätigkeit ins Bild setzen. Dies geschah vermehrt über die Thematisierung der Kindererziehung oder der Arbeitsbedingungen, die auf die gesellschaftliche Stellung der Frauen deuteten. Ungeklärt blieb die von Änne Söll aufgeworfene Frage, worin die Provokation der Beschäftigung mit Care-Arbeit in der Kunst liege, da sie innerhalb der kunsthistorischen (Arbeits-)Forschung bis heute marginalisiert und unsichtbar geblieben ist. Der Workshop bot eine überfällige erste Auseinandersetzung mit der Thematik und bestach besonders durch die Vielfältigkeit der Vorträge, die die Produktivität des Themenfeldes aufzeigten.

Konferenzübersicht:

Moritz Wullen (Berlin): Begrüßung

Änne Söll, Ludger Derenthal, Friederike Sigler (Berlin/Bochum): Einführung

Inka Schube (Hannover): „Mein Glück beginnt früh um Fünf“. Über Helga Parisʼ Arbeiterinnenporträts

Angelika Richter (Berlin): Kunst, Küche und Kinder. Kritische Reflexionen zum Privaten Patriarchat in der DDR

Sabine Schmid (München): Mujeres von Patricia Álvarez. Betrachtung einer Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Jeannette Stoschek (Leipzig): Evelyn Richter. Arbeit und Arbeiterinnen – Das Frauenprojekt

Sandra Starke (Potsdam): Private Bilder von Care-Arbeit in DDR-Fotografien

Kathrin Rottmann (Bochum): Am Fließband im Pott. Fotografien von (Care-)Arbeit im Ruhrgebiet

Stefanie Dietzel (Berlin): Von Palla-Mädchen umgarnt. Konstruierte Weiblichkeiten in der Industriefotografie der DDR

Annekathrin Müller (Essen): Anleitung zur Care Arbeit? Die fotografischen Beiträge im DDR-Erziehungsratgeber „Entwicklungswunder Mensch“

Annika Neubert (Jena): Die „Zweite Schicht im Bild“. Fotografische Konzeptionen von Reproduktionsarbeit in der DDR-Zeitschrift „Für Dich. Illustrierte Wochenzeitung für die Frau“ zwischen 1970 und 1990